Nicht alle Fragen des Lebens beantwortet der Koran stets mit derselben Deutlichkeit. Deshalb suchte man schon früh Möglichkeiten, um die Lücken zu füllen. Da nach muslimischer Auffassung Mohammed die Stimme Gottes ist, hielten sich schon zur Zeit Mohammeds seine Gefährten im Zweifelsfall an die Worte und Handlungen des Propheten selbst. Was Mohammed gesagt oder getan hatte, wurde nach und nach als Sunna („Lebensführung“, „Brauch“, „Tradition“) neben dem Koran zur wichtigsten Richtschnur des Handelns im Islam.
Die Sunna (arabisch: سنة,Pl. سنن sunan, DMG sunan, „Brauch, gewohnte Handlungsweise, überlieferte Norm“) steht im Islam für das, was der Religionsstifter Mohammed gesagt, getan, geduldet oder bewusst nicht getan haben soll. Das entsprechende Verb hierzu ist استنّ سنّ , DMG sanna / istanna, „etw.vorschreiben, etw. einführen“. Die Anhänger bezeichnen sich als Sunniten.
Die Grundlage für die Sunna bilden die Hadîthe (arabisch: ØØ¯ÙŠØ« pl. Ø£ØØ§Ø¯ÙŠØ«). Ahadîth bedeutet ursprünglich: „Mitteilung“, „Erzählung“. Der Begriff steht auch für historische Nachrichten sowohl profanen als auch religiösen Charakters. Im islamisch-religiösen Gebrauch umfassen die Hadithe die Überlieferungen der Aussagen von Mohammed, ferner seiner Taten oder seiner stillschweigenden Billigungen oder Ablehnungen von Handlungen, wenn sie in seiner Gegenwart geschahen. Diese Überlieferungen in ihrer Gesamtheit bilden die Sunna des Propheten.
Schon in den frühesten Quellen des islamischen Schrifttums erscheint ein weiterer Begriff, der der Bedeutung von Sunna nahesteht: sÄ«ra (سيرة) „Prozedur“, „Verhaltens- und Lebensweise“. Oft werden beide Begriffe – wie darauf M. M. Bravmann (1972) hingewiesen hat – zusammen verwendet: „die Sunna des Propheten und seine SÄ«ra“. In diesen Fällen ist sÄ«ra von der „Prophetenbiographie“ als literarische Gattung, ebenfalls sÄ«ra genannt, die die Vita Mohammeds zum Thema hat (Ibn Ishaq), zu unterscheiden.
In frühester Zeit scheint der Begriff Sunna eine umfassendere Bedeutung gehabt zu haben, wenn man den Historiographen, die die historischen Ereignisse zwar mit Nennung ihrer Quellen, aber dennoch in der Retrospektive beschreiben, Glauben schenken darf. Die Konflikte zwischen dem vierten Kalifen Ê¿AlÄ« b. AbÄ« ṬÄlib und seinem Widersacher, dem Umayyaden MuÊ¿Äwiya, die schließlich zur ersten Parteienbildung im Islam geführt haben, sollten – so die Darstellung der Historiographie – gemäß dem „Buch Gottes“ (Koran) und „der gerechten Sunna, die zusammenführt und nicht trennt“ gelöst werden. Also: Sunna als allgemein bekannte Praxis sowohl in politischen als auch in administrativen Fragen, als Richtschnur für den gerechten Umgang miteinander. Dieses Verständnis von Sunna ist auch in der altarabischen Poesie belegbar.
Neben dem Koran ist die Sunna des Propheten die zweitwichtigste Quelle des islamischen Rechts. asch-Schafi’i (gest. 820) hat in seiner Systematisierung der islamischen Jurisprudenz den Stellenwert von Sunna als Rechtsquelle als sunnatu ‚l-nabiyy (سنة النبي) genauer definiert; es sind Hadithe, die mit einer ununterbrochenen Kette (Isnad) der Überlieferer auf den Propheten zurückgehen. Es war aber erst Ahmad ibn Hanbal (gest. 855), der eine Verbindung zwischen Sunna des Propheten als Rechtsquelle und dem Korantext herzustellen versucht hat; hierbei griff er auf Sure 33, Vers 21 zurück:
   „Im Gesandten Gottes habt ihr doch ein schönes Beispiel…“
   – Übersetzung Rudi Paret
Im islamischen Traditionswesen ist neben der Sunna des Propheten schon recht früh vor allem die Sunna des zweiten Kalifen Umar ibn al-Khattab – sunnatu ‚Umar – als zu befolgende Autorität in der Rechtspraxis genannt.
Eine weitere Bedeutung von Sunna ist: „Gebrauch“, „Usus“ und kann regional unterschiedlich sein. Schon im Muwaá¹á¹aʾ des Malik ibn Anas ist die „Sunna der Medinenser“ wegweisender Bestandteil der islamischen Jurisprudenz. In allen Zentren der islamischen Welt sprach man schon zu Beginn des 2. muslimischen Jahrhunderts von der „sunna bei uns“ (al-sunna Ê¿indanÄ) und von der „sunna nach unserer Auffassung“ (al-sunna fÄ« raʾyinÄ) usw., ohne dabei auf die Sunna des Propheten zurückgegriffen zu haben. Das Antonym zu Sunna ist Bid’a.
Ich bin mitder Infoirmation sehr zufrieden. Sehr guter Beitrag zum
besseren Verständnis dieses kommplizierten und widersprüchlichen
Islams.